Die Wechseljahre sind für viele Frauen mit Scham verbunden – manchmal wird darüber gewitzelt, manchmal geschwiegen, aber so richtig darüber sprechen möchten die wenigsten. Dabei muss "frau" in dieser Zeit einige Herausforderungen meistern, seien es Hormonschwankungen, Stress, Midlife-Crisis oder ein eingeschlafenes Sexualleben. Wir haben daher Diplom-Psychologin Isa Schlott um einige Tipps gebeten, wie Sie gut durch diese Lebensphase kommen und sie sogar genießen können.
1. Stressreduktion ist ein wichtiger Faktor für mentale und physische Gesundheit und kann dabei helfen, Wechseljahresbeschwerden zu lindern – das wissen Sie als Diplom-Psychologin am besten. Welche Tipps, Übungen und Tools können Sie unseren Leserinnen empfehlen, damit diese aktiv Stress reduzieren können?
Stressreduktion ist ein sehr großes Thema, darüber halte ich in meiner Akademie tagelang Seminare. Es gibt demnach also nicht nur eine Strategie für den Umgang mit Stress: Stress hat mit einer inneren Bewertung zu tun und dem Abgleich darüber, ob ich danach zu dem Schluss komme, dass ich ausreichend Bewältigungsmechanismen für die jeweilige Situation zur Verfügung habe.
Gerade in den Wechseljahren empfehle ich deshalb das Anlegen einer "Ressourcensammlung", die für Ausgleich sorgt. Also täglich raus an die frische Luft gehen, Sport treiben, gesund und mit Genuss essen – das hilft schon ganz gut gegen die auftretenden Gefühlsschwankungen. Dann sollten in die Sammlung noch Entspannungsübungen, Atemtechniken und Achtsamkeit mitaufgenommen werden. Hier ist es wirklich gleich, ob diese aus Yoga, MBSR, Buddhismus oder dem klassischen Stressmanagement stammen. Menschen, mit denen man sich wirklich austauschen kann, die einen bereichern und humorvoll auf andere Ideen bringen, sind eine weitere gute Ressource.
Ziele sind ebenfalls wichtig: „Was wollte ich schon immer gerne tun und habe es bisher noch nicht gemacht?“. Ich persönlich habe eine „Bucket List“ mit all diesen Dingen, die dafür gesorgt hat, dass ich mit 50 noch Kitesurfen gelernt habe, mit 52 mit einer neuen Fremdsprache begonnen habe und mich gerade an einem Instrument ausprobiere. Warum auch nicht? Die Wechseljahre sind eine tolle Zeit und die Midlife Crisis ist in meiner Welt wohl eher eine Midlife Chance, nämlich endlich wieder das zu tun, was schon lange fällig war – und aufgrund von anderen Themen wie Karriereaufbau, Kindererziehung, Partnerschaft etc. auf der Strecke geblieben ist. Stress entsteht oft im Kopf. Daher finde ich es auch wichtig, sich von Konventionen zu trennen – von dem, was man „in dem Alter“ angeblich so zu tun und zu lassen hat. Ich liebe die Formulierung „Wo steht das?“, wenn mir mal wieder jemand sagt, dass „man“ etwas nicht so machen sollte, kann oder darf.
2. Besonders wenn die Hormone „Achterbahn fahren” kann es zu starken Stimmungsschwankungen und allgemeiner Unzufriedenheit kommen. Was kann in solchen Phasen dabei helfen, ein positives Mindset aufzubauen und sich aus der Negativ-Spirale zu befreien? Gibt es gezielte Techniken, die man in den Alltag integrieren kann?
Ja, die gibt es. Ganze Disziplinen wie z. B. das Neurolinguistische Programmieren, Mentalcoaching und auch spirituelle Ansätze beschäftigen sich damit, wie man aus einem negativen Mindset in ein positives gelangen kann. Das, was man als Frau in den Wechseljahren verstehen darf, ist, dass man den aufkommenden Gefühlen nicht ausgeliefert ist. Die Frage aller Fragen an dieser Stelle ist, WIE Menschen negative Gefühle generieren, also wie das im Kopf und im Körper funktioniert.
Nehmen wir mal an, der Lebenspartner kommt nach Hause und geht einfach schweigend ins Wohnzimmer. In dem Moment kann ich denken: „Was ist denn mit dem los? Wieso macht der so etwas Unhöfliches? Wir haben uns den ganzen Tag lang nicht gesehen und dann so was? Der liebt mich nicht. Für den bin ich sowieso nur noch die Haushälterin.“ Das sind sogenannte innere Dialoge. Diese inneren Dialoge kommen sehr oft vor und laufen meist unbewusst ab. Es gibt aber auch innere Bilder, also bebildertes Material im Kopf, in Form eines Standbildes oder eines inneren Filmes. Hier könnte meine fiktive Ehefrau Folgendes vor ihrem inneren Auge sehen: Bilder von einer langweiligen Ehe, von einer Vorstellung von Rentnerdasein mit „diesem Gegenüber“.
Sowohl innere Bilder als auch innere Dialoge wirken sich auf das Gefühlsleben aus. Dieser Frau wird es nach dem schweigenden Vorbeigehen des Partners schlecht gehen. Die Hormone sorgen dann für den Rest, d. h. wenn die Stimmung sowieso schon nicht so gut ist, dann wird sie durch die negative Denkweise sicher nicht besser. Wenn sich die Denkweise der hier beschriebenen Frau manifestiert, dann wird der Mann später aus dem Wohnzimmer rauskommen, der traurigen Frau begegnen und wird vielleicht sogar mit Vorwürfen überschüttet. Aber: Das muss nicht so ausgehen.
Wir haben eine Technik, die wir „Reframing“ nennen, d. h. wir geben Situationen einen neuen Rahmen. Unser Gehirn ist laufend dabei, zu interpretieren: Oft glauben wir nur, dass unser Gehirn die Realität abbildet. Aber was ist schon Realität? Betrachten wir noch mal die oben beschriebene Situation. Die Ehefrau könnte auch denken: „Oh, er hatte einen stressigen Tag und braucht etwas Ruhe für sich. Es ist gut, dass er das erkennt, für sich sorgt und erst mal im Wohnzimmer verschwindet. Ich lasse ihn und er wird schon wieder rauskommen, wenn er so weit ist.“ Das könnte genauso wahr sein wie die erste Variante, macht aber viel bessere Gefühle. Drehen wir die Szene weiter, kommt der Partner nach einer halben Stunde aus dem Wohnzimmer, die Frau lächelt ihn an und er freut sich, dass er jetzt erzählen kann, was er heute erlebt hat. Reframing heißt also, die Situation umzuinterpretieren, sodass es einem persönlich besser geht. Das erfordert ein wenig Übung, funktioniert aber ganz gut. Ich nutze Reframing bei meinen Dienstreisen, bei denen ich oft an Flughäfen sitze und warte, da mal wieder ein Flieger nicht pünktlich ist. So viel Zeit für Achtsamkeit bekommt man selten geschenkt, Zeit zum Lesen, Zeit zum Nachdenken. Das ist wunderbar.
3. Die vielen Lebensveränderungen in den Wechseljahren können Frauen das Gefühl geben, bisher wenig im Leben für sich selbst getan zu haben. Das kann zu Orientierungslosigkeit und Selbstzweifeln führen. Haben Sie Tipps, wie Frauen sich besser auf sich selbst konzentrieren und herausfinden können, was sie wollen und brauchen?
Ich erlebe einige Menschen als orientierungslos – auch Herren, die sich täglich in ihren Job begeben und ebenfalls keinen Zugang mehr zu ihren Bedürfnissen haben. Ich finde, dass viele Frauen sogar sehr nah an ihren Gefühlen sind. Die Frage ist nur, ob sie sich eingestehen, dass auch sie Bedürfnisse haben, die noch umgesetzt werden wollen. An dieser Stelle gefällt mir die Übung, sich gedanklich seinen 80. Geburtstag vorzustellen und einen Blick vom 80. Geburtstag zurückzuwagen, um mal zu sehen, was in den Lebensjahren davor noch stattfinden sollte, damit man irgendwann erfüllt diesen Planeten verlassen kann. Daraus kann man dann seine Ziele entwickeln.
Wenn einen der Mut verlässt, ist die Frage an das „80-jährige Ich“, was es denn so raten würde. Aus der Perspektive der 80-Jährigen sieht nämlich vieles ganz anders aus. Dazu passt der Spruch: „Am Ende des Lebens bereust du nicht die Dinge, die du getan hast, sondern die Dinge, die du nicht getan hast“ (Verfasser unbekannt). Im Coaching erlebe ich viele Frauen, die sich egoistisch finden, wenn sie an sich denken. Ich denke nicht, dass man egoistisch ist, wenn man seine Bedürfnisse kennt und erfüllt. In die Selbstliebe zu gehen, ist der Schlüssel. Also erst über die Selbstliebe zu den Bedürfnissen zu gelangen, Ziele daraus zu generieren und mal die eigenen Lebensbatterien zu füllen. Volle „Batterien“ sind wichtig – einerseits für einen selbst, andererseits auch für andere. Denn sind die Batterien leer, kann man auch nicht für andere da sein.